Filmisches Lehrstück gegen gewerkschaftliches Rumgammeln

Der Dokumentarfilm “Ende der Vertretung – Emmely und der Streik im Einzelhandel” verdeutlicht mit seiner Darstellung des Einzelhandelsstreiks beispielhaft die strukturellen Mängel der ver.di

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Direkte Aktion 194 – Juli/August 2009

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Eine Kassiererin, Spitzname Emmely, wird im Februar 2008 nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit von Kaiser’s gekündigt. Der Fall sorgt bundesweit für Empörung, denn der Kündigungsgrund scheint absurd: Es bestehe der Verdacht, Emmely habe Pfandbons im Wert von 1,30 Euro unterschlagen. Die Verdachtskündigung wird ein Jahr später in zweiter Instanz gerichtlich bestätigt. Anders als das Strafrecht kennt das Arbeitsrecht nicht die Unschuldsvermutung. Der Arbeitgeber muss lediglich Indizien vorlegen, die einen dringenden Verdacht nahelegen. Das Arbeitsgericht entscheidet aufgrund der vom Arbeitgeber und der Arbeitnehmerin vorgelegten Aussagen und Beweisstücke. Demnach ist es an Emmely, ihre Unschuld zu beweisen. Der Fall sorgt für ein breites Medienecho, Anne Will und Johannes B. Kerner berichten und Wolfgang Thierse nennt es ein “barbarisches Urteil von asozialer Qualität”. Kaum berichtet wurde hingegen darüber, dass Emmely während eines Streiks im Einzelhandel gekündigt wurde, und sie diesen Streik in ihrer Kaiser’s-Filiale maßgeblich mitorganisiert hatte. Es ist der Verdienst des Dokumentarfilms “Ende der Vertretung – Emmely und der Streik im Einzelhandel” diese Vorgänge in Gänze aufzuzeichnen und die Hintergründe zu beleuchten. Der 56minütige Film von kanalB begleitet die Streikenden über anderthalb Jahre.

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Zu Wort kommen Frauen, die seit Jahrzehnten im Einzelhandel arbeiten. Viele streiken zum ersten Mal in ihrem Leben. Oft sind sie alleinerziehend und in Teilzeit. Sie berichten, wie sich in den letzten Jahren ihre Situation durch Arbeitsverdichtung verschlechtert habe. Während die Löhne hinter den steigenden Lebenshaltungskosten zurückblieben, stiegen gleichzeitig die Gewinne der Unternehmen allein zwischen 2000 und 2006 um 64,3 %. Als die Arbeitgeber Ende 2006 die Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit kürzen wollen, hatten sie im Empfinden vieler Beschäftigter eine Grenze überschritten. Es begann die längste und härteste Tarifauseinandersetzung im deutschen Einzelhandel, welche erst im Juli 2008, anderthalb Jahre später, enden sollte.

Der Film offenbart exemplarisch die strukturellen Schwächen der Mitgliedsgewerkschaften des DGB. Es gelingt der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) nicht, mehr als 1.000 ihrer 21.000 Mitglieder im Einzelhandel Berlin-Brandenburgs für den Streik zu mobilisieren. Die Beteiligung am Arbeitskampf sinkt noch weiter, als die ver.di-Tarifkommission entgegen des Willens der Streikenden ausgerechnet vor der umsatzstärksten Woche, dem Weihnachtsgeschäft um den 4. Advent, den Streik abbricht. Die gezeigten Bilder wirken befremdlich: Auf der einen Seite die lethargische Tarifkommission im 6. Stock tagend, andererseits die Versammlung der kämpferischen Streikenden im Innenhof. Beide sind nur wenige Meter Luftlinie voneinander entfernt, und doch scheinen Welten dazwischen. Im Gespräch mit der Filmautorin Bärbel Schönafinger kommen sowohl die Enttäuschungen der Streikenden als auch die Begründungen der in der Tarifkommission sitzenden Betriebsräte zu Wort. Mehr als einmal hat man als Zuschauer das Gefühl, die sich zum Co-Management verpflichtet fühlenden Betriebsräte ständen auf der gegnerischen Seite. So zum Beispiel wenn einer von ihnen davon spricht, dass “wir” bei Edeka nun auch mehr “zahlen” – wohlgemerkt “wir zahlen”, nicht kriegen. Als sich bei Kaiser’s eine eigenständige Betriebsgruppe gründet und unabhängig vom Betriebsrat ein Flugblatt erstellt, wird deren Initiative von der ver.di-Fachbereichsleitung abgewürgt.

Ver.di mobilisiert die kollektive Lethargie

Eine Kassiererin bringt die mangelnde Organisation innerhalb der Dienstleistungsgewerkschaft auf den Punkt: Früh werde man von ver.di aufgerufen, würde dann aber nur “rumgammeln”, statt Flugblätter zu verteilen oder darüber zu reden, wie der Streik an Fahrt gewinnen könne. Laut Schönafinger ist diese Aussage “der zentrale Satz der Dokumentation, da er beschreibt, dass die SekretärInnen die Streikenden nicht als Akteure ernst nehmen. Anstatt die Gelegenheit zu nutzen, um Diskussionen und Gedankenaustausch unter den Kolleginnen anzuregen, werden sie bei Kaffee und Kuchen dazu angehalten , ihre Zeit zu verlieren.”

Hinzu kommt, dass die ver.di-FunktionärInnen aufgrund ihrer firmenspezifischen Verflechtungen kaum Solidarität vorleben: Den Fall Emmelys überhaupt publik zu machen, lehnen sie ab. Der eigene Betriebsrat behauptet anfangs gegenüber dem Arbeitgeber und Arbeitsgericht, dass die Kündigung im Zusammenhang mit dem Streik stehen könne, nur um sich später in einem offenen Brief selbst zu dementieren und jeglichen Zusammenhang abzustreiten.

Am Ende ist nur noch der harte Kern der Streikenden dabei. Die Methoden der Arbeitgeber zeigen Wirkung: Der Einsatz von LeiharbeiterInnen bei gleichzeitiger Einschüchterung der von ver.di allein gelassenen Belegschaften sorgen für massiven Streikbruch. Am Ende des anderthalbjährigen Arbeitskampfes erringt ver.di 3 % mehr Lohn bei gleichzeitiger Streichung der Zuschläge für den Samstagnachmittag, effektiv ein Reallohnverlust.

Dieser Dokumentarfilm zeigt exemplarisch, wie sehr eine basisdemokratisch und föderalistisch strukturierte Gewerkschaft notwendig ist. Der nächste Arbeitskampf im Einzelhandel könnte schon in Bälde anstehen, die Friedenspflicht ist jüngst ausgelaufen. Obgleich der Film auch mehreren Tarifkommissionen vorgeführt wurde, bleibt fraglich, ob ver.di für die bevorstehende Tarifrunde daraus gelernt hat. Schließlich würde das bedeuten, die eigenen Strukturen gehörig auf den Kopf zu stellen.

Anmerkungen

“Ende der Vertretung – Emmely und der Streik im Einzelhandel” (kanalB #34, 56 Min) zu beziehen für 10 Euro von kanalB.org.

Das Komitee “Solidarität mit Emmely” hat eine Petition für eine Bagatellgrenze bei Kündigungen an den Bundestag eingereicht: http://1euro30.de

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