Beißend echt

Poesie kann so wirklich sein

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Direkte Aktion 198 – März/April 2010

Editorial

Musikalische Neuinterpretation

Selbsterforscht

Selbsterforscht

Der große Bruder schaut dich an

Eine Menge Holz

Eine Menge Holz

Déjà-vu im Arbeitskampf

Déjà-vu im Arbeitskampf

Keine Arbeit ohne Lohn!

Keine Arbeit ohne Lohn!

Union Dynamite

Sind wir nicht alle ein bisschen Tabak?

Sind wir nicht alle ein bisschen Tabak?

„Denen muss in den Arsch getreten werden!“

Kolumne Durruti

Kolumne Durruti

Big Sister is watching you

Ohne Substanz

Ohne Substanz

Vom Widerstand zur Revolution

Mindestlohn-Debatte: Eile mit Weile

Mindestlohn-Debatte: Eile mit Weile

Catwalk

British Airways versucht, Streik zu verhindern

British Airways versucht, Streik zu verhindern

Impressionen der Solidarität

Das Selbstbewusstsein aller Réfractaires

Das Selbstbewusstsein aller Réfractaires

„Die Gewerkschaft hat uns ein würdiges Leben ermöglicht“

100 Jahre in den Archiven

§§§-Dschungel

Andere Länder, andere Sitten

Chefverseucht

Chefverseucht

Einfach brillant

Kampflos zum Tarifabschluss

Kampflos zum Tarifabschluss

Beißend echt

Pessimistische Texte in der Revolte

Der „Sturm“ der Karlsruher Richter

Der „Sturm“ der Karlsruher Richter

Opposition in der Sesselgewerkschaft

Vier Kreuze pro Minute

DGB und CGB kämpfen um Leiharbeit

DGB und CGB kämpfen um Leiharbeit

FAU-Ticker

FAU-Ticker

Die Sklaverei unserer Zeit

„Ein Freund derjenigen, die auf der Suche nach Alternativen sind“

(Noch) keine Haft für FAU-Sekretäre

(Noch) keine Haft für FAU-Sekretäre

Wunsch- und Alptraum nah beieinander

Wunsch- und Alptraum nah beieinander

Belgrade 6 vorläufig frei!

Ein Dorn im Auge

„Sich fügen heißt lügen“

Lyrik zum AnbeißenGewiss, Gedichte sind nicht jedermanns Sache. Herz, Schmerz und dies und das. Was nicht schlecht sein muss, wenn sie gut sind. Dennoch: Es gibt wohl kein Genre der Literatur, das mehr belächelt wird, mit weiter verbreiteteren Vorurteilen zu kämpfen hat. Dass sich auch Perlen darunter finden, lässt sich nur im Tauchgang erkunden. Sich-Einlassen heißt das Zauberwort.

Radikale Ehrlichkeit

Einen Zugang zu lyrischen Werken finden LeserInnen wohl nur dann, wenn sie die eigene Lebenswirklichkeit berühren. Oder die Phantasie beflügeln. Das Pathos, in den WortschmiedInnen mitunter verfallen, nervt, steigert die Distanz, macht AutorInnen einsam. Auch oder gerade dann, wenn sie mit politisch-emanzipatorischen Inhalten daher kommen. Gelungene Gegenbeweise gibt es wenige –einen davon hat Jens Grünberg mit „Fremd in der Welt der Vernutzung“ angetreten.

Grünberg ist kein Schöngeist, rührt nicht in der Seichtheit an der Oberfläche. Seine Worte wirken wie Pfeilspitzen, visieren die Wirklichkeit an, zielgenau, trefflich. Sie formen sich zu Bildern, sind echt, ungeschminkt im Ausdruck, ungezügelt, geziemende Antwort auf die Welt, in der wir leben. Wer kennt ihn nicht, den Alltag, der uns täglich ins Gesicht speit, an den Zeiger der Uhr kettet, uns ins Räderwerk der Lohnarbeit stößt? Wem ist sie nicht ein Gräuel, die bürgerliche Vorgartenidylle, in die sich saturierte Einfaltspinsel Krieg und Verderben allenfalls per Knopfdruck wie einen Unterhaltungsfilm auf die allabendliche Mattscheibe beamen? Wie stellt sich jemand dem Unfassbaren, den Massenvernichtungen durch die Nazis, der Shoah, an den Orten des Grauens?

Pointierung

Grünbergs Antworten sind Annäherungen, ausdrucksstarke Beschreibungen seines Empfindens. Sie machen wach, entglasen künstlich aufgebaute Distanzen wie Schaufensterscheiben. Leichte Unterhaltung ist nicht sein Ding. Denn er ist wütend.

Nur selten erscheint ein Text noch etwas ungelenk, ist der Fluss im Buche durch Wiederholungen gestört. Ein Umstand, der bei ihrer Entstehungszeit in 23 Jahren und ihrer Fülle mehr als entschuldbar ist. Der Stärke an Aussagekraft tut das keinerlei Abbruch. Ihre Wirkung verfehlen Grünbergs Gedichte nie, auch nicht nach dem dritten Lesen. Fazit: schenken lassen, kaufen, lesen!

Buchdaten:
Jens Grünberg: Fremd in der Welt der Vernutzung
Gedichte, Wiesenburg Verlag, 2009, Gebunden, 168 Seiten,
ISBN 978-3-940756-55-8
EUR 16,80


Textproben Jens Grünberg:

In der U-Bahn

Leiber sitzen auf Bänken
sehen nichts
stumpfe Augen
müde Angesichter
abweisend
ausgelaugt
vom Neonlicht gespenstisch erhellt
einekleine Pause
im Überlebenskampf

 

Machtprobe

Nach diesen sieben Jahren,
in denen Ihr Hunger
gelitten habt,
so sagte Gott,
werden für Euch nun
sieben fette Jahre anbrechen.

Da mussten selbst die
Manager der multinationalen Konzerne
aber lachen:
Kommt darauf an,
wenn Sie,
lieber Herr Gott,
für die Hungernden zahlen,
gern.

 

Toilettenkacker

Toilettenkacker
sitzt und kackt,
die Zeit vergeht langsam,
sehr langsam,
der Rauch der Zigarette
erstickt nahezu den Raum.
Die Zeit vergeht weiterhin langsam
Draußen sind Schritte
sowie Maschinengeräusche
zu vernehmen
Der Toilettenkacker
sitzt auf der Brille,
wartet,
raucht,
Zeit vergeht kaum.
Es ist ein langer Weg
bis zum Feierabend.
Toilettenkacker:
So ist
Dein Leben
eine Fäkalie!

 

Direkte Aktion 198 – März/April 2010

Kampflos zum Tarifabschluss Pessimistische Texte in der Revolte

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