Tour de Farce

Die Regierung Hollande will die Agenda 2010 in Frankreich adaptieren

This entry is part 28 of 35 in the series Direkte Aktion 219 – Sept/Okt 2013

Direkte Aktion 219 – Sept/Okt 2013

Patriarchales Erbe: Kampf gegen die Hydra

Patriarchales Erbe: Kampf gegen die Hydra

Der Fall Olli R. – ein deaktivierter Basisgewerkschafter

Der Fall Olli R. – ein deaktivierter Basisgewerkschafter

Truckstop im Norden

Truckstop im Norden

Editorial

Prekäre Arbeit und die Transformation des Arbeitsmarktes

Kampf um eine neue Zukunft

Kolumne Durruti

Die Mutter aller Reformen

Catwalk

UnternehmerIn der eigenen Arbeitskraft

Die Kunst des Widerstands

Ein Stolperstein für Arthur Holke!

§§§-Dschungel

Amazon – der Widerstand beginnt

Amazon – der Widerstand beginnt

Wie im Sport so im Job

70 Tage selbstverwaltetes Staatsfernsehen

Der große Bruder schaut dich an

Das Ende vom Ende?

Das Ende vom Ende?

Das Elend im studentischen Hilfskräftemilieu

Das Elend im studentischen Hilfskräftemilieu

Der Libelle Geburtstag

Selber schuld

Truckstop in Köln

Tagelöhner an der kurzen Leine?

Struggle – Nachrichten von der Klassenfront

Struggle – Nachrichten von der Klassenfront

Judith Malina: In unseren Gedanken sind wir fast nie allein

Entgrenzte Ausbeutung

Vom Mittelstand ins Prekariat

Arbeit geschenkt?

Tour de Farce

FAU-Ticker

FAU-Ticker

Ein Fundus für die Basis

Prekäre Arbeit gibt’s auch in Grün

Meldungen aus der FAU

Meldungen aus der FAU

New York: Arbeitskämpfe mit und nach Occupy Wall Street

New York: Arbeitskämpfe mit und nach Occupy Wall Street

Darf ein Hartz IV-Roman lustig sein?

Die französische Regierung nennt explizit die deutsche Agenda 2010 als Grundlage für die kommenden Sozialreformen. Den Anfang machen neue Rentengesetze (siehe Artikel „Die Mutter aller Reformen“). Dabei „vergessen“ die Regierenden natürlich zu erwähnen, dass in keinem Land der EU außer in Lettland der Niedrig-Lohnsektor so schnell gewachsen ist und auch prozentual einen derart großen Anteil an der Gesamterwerbsbevölkerung einnimmt wie in der BRD. Einen kritischen Blick auf die deutschen Verhältnisse in der französischen Öffentlichkeit zu fördern ist daher eine wichtige Aufgabe europäischer Basisnetzwerke – etwa durch die online-Interviews und Veranstaltungen von Inge Hannemann, die die Praktiken der Jobcenter offenlegte, mit französischen Gewerkschaften, um so die reale Grundlage der sogenannten „deutschen Erfolge“ vor einer breiten Öffentlichkeit in aller Deutlichkeit klarzustellen. Ein Teil der französischen Medien ist sich nämlich tatsächlich nicht zu schade, die Mär von den „deutschen Tugenden“ – Fleiß, kaum Siesta, einem Leben für die Arbeit – auch in Frankreich wieder salonfähig zu machen. Über Zwangsverhältnisse, prekäre Beschäftigungen, Einschüchterungen durch Ämter und Behörden, steigende Aggressivität im gesellschaftlichen Klima der BRD berichten sie dabei kaum.

Populärer Slogan, auch über Szenegrenzen hinweg

„Ne pas perdre sa vie à la gagner“ (Beim Geldverdienen das Leben nicht verlieren) – mit dieser Parole wird sich bei vielen Sozialprotesten in Frankreich auf den Alltag der Lohnarbeit bezogen. Hier drückt sich ein teilweise noch diffuses Unbehagen sowohl gegenüber den neuen Arbeitsvertragsformen und ihren Folgen – Leiharbeit, Werkverträge, unbezahlte lange Probearbeitszeiten usw. – sowie aber auch den konkreten Tätigkeiten selbst aus: die Organisation der betrieblichen Abläufe und die permanente Steigerung der Produktivität. Dass ein Brief des Vorsitzenden des US-amerikanischen Titan-Konzerns an den französischen Industrieminister, in dem zur Begründung einer Investitionsabsage das Selbstbewusstsein der ArbeiterInnen im Goodyear-Werk in Amiens als Anmaßung gegeißelt wird, zu einem mittelgroßen Politikum anwuchs, ist auch in diesem Kontext zu sehen. Wie enorm der Druck ist, den die „moderne“ Arbeitsorganisation gerade auf weniger vernetzte und kämpferische Menschen aufbaut, wird angesichts der in den Sommermonaten wieder erlebten Selbsttötungen von Beschäftigten in Betrieben, Unternehmen und Behörden in Frankreich deutlich. Die Rede ist hierbei nicht nur von ArbeiterInnen, sondern auch von mittleren Angestellten, AbteilungsleiterInnen und leitendem Personal. Immer hinterließen sie auch kurze Statements an ihrem Arbeitsplatz und beendeten ihr Leben zumeist vor Ort im Betrieb. Nichts ist wohl eindrücklicher, als an dieser Stelle einen dieser Abschiedsbriefe einzubringen; nicht als makabere Effekthascherei, sondern als schonungslose Offenlegung der Konsequenzen, die der Terror der Effizienz- und Produktivitätssteigerung in ganz Europa mit sich bringt.

Francis, 55 Jahre, Angestellter bei der französischen Post, verschickt während der Mittagspause kurz vor seiner Selbsttötung folgende E-Mail (Übersetzung des Originals, nachzuschlagen auf der Seite der Sud-PTT, Basisgewerkschaft bei der Post und Telekom in Frankreich: www.sudptt.org)

„Adieu. Ich habe bis zum letzten Moment auf ein kleines Hoffnungszeichen gewartet, auf, ein wenig, ganz klein wenig Anerkennung für meine Arbeit, die ich leiste, aber nichts ist gekommen, überhaupt nichts. Im Gegenteil, eine Klatsche für den, der sich krummlegt wegen der Entscheidungen einer Hierarchie, die einfach blind ist, eher bekommst du Stöcke zwischen die Beine geworfen, um dich noch eher aus der Arbeit zu vertreiben. Auch von den neu eingesetzten Sozialbetreuern nach den bisherigen Selbsttötungen gibt es keine Unterstützung, ich brauche keine ärztliche Beratung, sondern Interesse für das, was ich hier bei uns in der Dienststelle eingerichtet habe, aber mir wird eher gezeigt, dass das alles nur Scheiße ist, was ich da mache. Nun denn, das Problem ist gleich geregelt.“

(Mehr zu den Verhältnissen bei der französischen Post und dem individuellen und kollektiven Widerstand gegen die Arbeitshetze in Frankreich gibt’s in der nächsten DA!)

Direkte Aktion 219 – Sept/Okt 2013

Arbeit geschenkt? FAU-Ticker

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