„Von da an hat dich die Polizei in ihrer Falle“

Interview mit der kubanischen Sexarbeiterin Maritza

This entry is part 18 of 28 in the series Direkte Aktion 227 – Jan/Feb 2015

Direkte Aktion 227 – Jan/Feb 2015

Klassenkampf im Stadtteil

Editorial

Editorial

Bürgerbeteiligung als Herrschaftsstrategie im Umgang mit Massenprotesten

Work-Life-Balance = Entgrenzung, Zeitnot und Arbeitsstress?

Partisanen und Milizen

Investor, Generalunternehmer und Sub-Subs

Gerettet und doch verloren?

Kolumne Durruti

Catwalk

Catwalk

Beteilige dich, aber mach mich nicht nass!

Beteilige dich, aber mach mich nicht nass!

Der große Bruder schaut dich an.

Mannheims „andere“ Arbeiterbewegung

Hier endet der demokratische Sektor

Adolescents

Arbeitskämpfe von Landarbeitern in Südafrika

Arbeitskämpfe von Landarbeitern in Südafrika

Das Schweigen der Lämmer

Das Schweigen der Lämmer

Himmel oder Hölle?!

»Ich hab den Krieg verhindern wollen.«

»Ich hab den Krieg verhindern wollen.«

„Von da an hat dich die Polizei in ihrer Falle“

Struggle

Einigkeit und Recht und Freiheit? Kein Stück!

12 Jahre ohne Lohnsteigerung in der Behindertenhilfe

12 Jahre ohne Lohnsteigerung in der Behindertenhilfe

Nepper, Schlepper, Bauernfänger

Let’s rock Kapitalismus – über Tanz und Befreiung

FAU-Ticker

FAU-Ticker

Deutscher Dachschaden

Deutscher Dachschaden

Die Ukraine hat gewählt – gleich mehrmals

Was wollen die eigentlich ständig von mir?

Was wollen die eigentlich ständig von mir?

Eine Basiserzählung der kubanischen Staatsideologie ist die Überwindung von Glücksspiel und Prostitution im Zuge der sozialistischen Revolution. In der Zeit von 1902 bis 1959, in der Kuba eine Art inoffizielles US-Protektorat war, galt Kuba als „das Casino und Bordell der Karibik“. Der Fortschritt, den der Sozialismus der kubanischen Gesellschaft gebracht hat, soll sich in der staatlichen Deutung daher folgerichtig in der politischen Unabhängigkeit der Nation und in der ökonomischen Unabhängigkeit von diesen Wirtschaftszweigen ausdrücken. Wie mit dieser Ideologie ein absurdes Verhältnis zwischen Polizei und SexarbeiterInnen einhergeht, die es auch im sozialistischen Kuba immer gab, erzählt Maritza im Interview mit der Bloggerin Sandra AbdAllah-Alvarez Ramirez. Der folgende Text ist im April 2014 in spanischer Sprache auf Sandras Blog „Negra Cubana tenia que ser“ erschienen. Mit diesem Blog thematisiert die Internetaktivistin Rassismus, Sexismus und Homophobie in der kubanischen Gesellschaft, aber auch im gesamten lateinamerikanischen und karibischen Raum sowie in Europa. Sandra wohnt seit einigen Jahren in Hannover.


Die Journalistin Sandra Abd’Allah-Alvarez Ramírez betreibt den Blog negracubanateniaqueser.com, ist bei den Global Voices aktiv und hat bei dem selbst organisierten Radio Flora in Hannover eine kubanische KultursendungVon negracubanateniaqueser.com:

Dass es auf Kuba so genannten „kommerziellen Sex“ gibt, ist nichts Neues. Allerdings wird im Diskurs über Prostitution heute mit allerlei besonderen Argumenten gefochten. Sie gehen von der Beschuldigung der Frauen als unmoralisch bis hin zu der Theorie, die Regierung wolle damit gegen die Wirtschaftskrise vorgehen. Welche Sichtweise auch vorherrschen mag, über Prostitution wird immer offener auf der Insel gesprochen. JournalistInnen und BloggerInnen berichten darüber, und auch in der zeitgenössischen kubanischen Kunst und Musik wird die Prostitution thematisiert.Hier nun ein Interview mit Maritza, einer jungen Kubanerin, die seit ungefähr einem Jahr in Europa lebt. Sie verließ die Insel auf der Suche nach „einem besseren Leben“.

 

Maritza, worum geht es Deiner Meinung einer Hure (jinetera), die sich mit einem Touristen einlässt: Um ihr Leben auf Kuba – oder darum, das Land zu verlassen?

Also, normalerweise wollen sie einfach für den Dienst, den sie bereitstellen, bezahlt werden, es geht um Geld, dafür arbeiten sie ja. Aber natürlich kommt es vor, dass solch ein Arbeitsverhältnis die Perspektive bieten kann, ins Ausland zu gehen, als Ehefrau, durch eine Einladung oder durch einen Arbeitsvertrag. Gerade die gebildetsten Huren suchen nach einer solchen Option.

 

Auf Kuba ist Prostitution nicht direkt verboten, aber trotzdem werden die Frauen etwa in die Villa Delicias (Haus der Wonne) eingesperrt, ein sogenanntes „Zentrum für die Sicherheit von Frauen“. Was bedeutet es für eine Frau, dorthin zu kommen?

Es wird im Ernst so dargestellt, als ob die Prostitution auf Kuba nicht verboten wäre? Darüber kann ich nur lachen. Wenn eine Frau jung und hübsch ist, ist es für sie unmöglich, Hand in Hand mit einem ausländischen Mann die Straße entlang zu laufen, ohne dass die Polizei sie anhält, belästigt und sie nötigt, sich auszuweisen. Und wenn es dabei bleibt, hast du noch Glück gehabt. Oft zerren sie dich in ihr Auto, bringen dich auf die nächste Wache, und dort verbringst du wirklich eine lange und sehr unangenehme Zeit. Außerdem besteht die Gefahr, dass sie dir eine Verwarnung aushändigen, wegen „Belästigung von Touristen“.

 

Glaubst Du, dass ein Ort wie die Villa Delicias den Frauen hilft, von der Prostitution loszukommen? So wird es ja behauptet: Die Frauen würden dort „lernen, sich nicht zu prostituieren“.

Ich glaube, an einen Ort wie diesen verschleppt zu werden, ist so ziemlich das schlimmste, was einer Frau passieren kann, vor allem jungen Frauen. Zum Glück war ich selbst nie dort, aber vielen Freundinnen von mir ist dieses Schicksal widerfahren. Ich glaube nicht, dass es ihnen irgendwas gebracht hat. Davon ab sollten sie frei sein, mit ihrem Körper zu machen, was sie wollen. Mir geht es aber um die Situation auf der Straße, von der vor allem korrupte Polizisten profitieren. Sie können willkürlich hinschauen oder weggucken und führen sich wirklich dreist auf. Das ist für sie ein sehr einträgliches Geschäft. Sie leben von den Huren und von den Zuhältern. Sie gehören zu dem Business genauso dazu, sind kein bisschen besser, vielleicht sogar schlimmer. Das einzige, was sie unterscheidet, ist, dass sie Uniform tragen und ihren Nutzen daraus ziehen.

 

Gibt es da etwas Bestimmtes, das Du erzählen willst?

Also, da gibt es einiges, aber besonders deutlich wird die polizeiliche Willkür in einer Anekdote aus dem Jahr 2006. Es war Samstag, und wir waren eine Gruppe von Freundinnen und Freunden, die nachts in El Vedado ausgehen wollten. Wir waren gerade in der Calle O, direkt am Eingang zum Restaurant Wakamba, als in dieser Gegend eine Spezialoperation der Polizei stattfand. Sie setzten eine Freundin von mir, die mit einigen anderen gerade ankam, fest und wollten, dass sie sich ausweist. Plötzlich, ohne jede Begründung, stießen sie sie in einen Polizeibus, einen von der Sorte, die geschlossen sind und keine Lüftung haben. Sie transportierten sie in die Polizeiwache Zapata y C ab, die auch in El Vedado liegt, aber mit ihr noch eine ganz zufällig dort stehende Gruppe an jungen Frauen. Dafür gab es nicht den geringsten Grund, sie hielten sich noch nicht mal in der Nähe von Touristen auf. Sie alle wurden noch in derselben Nacht in die Villa Delicias gebracht. Meine Freundin blieb zwei Tage verschwunden, bis ihre Mutter nach ihr suchte. Die Polizei hatte sie in Häftlingskleidung gesteckt und wollte sie nicht freilassen. Damit war sie von nun an in großen Schwierigkeiten. Wenn du einmal einen Fuß in diesen Ort gesetzt hast, auch wenn es ja nur „für einen Plausch“ war, wie sie es bei meiner Freundin behauptet haben, gibt es eine Akte über dich, und von da an hat dich die Polizei in ihrer Falle.

 

Direkte Aktion 227 – Jan/Feb 2015

»Ich hab den Krieg verhindern wollen.« Struggle

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert