Auf ein neues Level

Die Idee der gewerkschaftlichen Sozialorganisation. Überlegungen und Thesen zur Mieterorganisierung

This entry is part 19 of 37 in the series Direkte Aktion 211 – Mai/Juni 2012

Direkte Aktion 211 – Mai/Juni 2012

Arbeitsschutz in der Knochenmühle

Editorial

Editorial

Der große Bruder schaut dich an

Meldungen aus der FAU

„Weiche Schale, harter Kern“

Ein erster Schritt

Ein erster Schritt

Aus Wenigem kann Vieles folgen

Das Syndikat als virtueller Mob

Das Syndikat als virtueller Mob

Kolumne Durruti

1968 in Jugoslawien: „Selbstverwaltung vom Boden zum Gipfel“

Catwalk

Catwalk

Pussy is no Crime

Pussy is no Crime

Auf zu Level 2!

Auf zu Level 2!

Bad Segeberger Leiharbeitsklitsche hat sich verrechnet

Wie gesund sind Berliner ArbeiterInnen?

Von wegen leicht verdaulich

„Der Chefteddy“

Alles neu…

Sie lassen nicht locker

Sie lassen nicht locker

Auf ein neues Level

Meldungen aus der IAA

§§§-Dschungel

Peter Hein: „…ich bin Anarchist, den die Welt vergisst“

Vom Zentralismus zum Kommunalismus?

Vom Zentralismus zum Kommunalismus?

Sie war, sie ist, sie bleibt

Bundesweite Aktionswoche für Zivilklausel

„Auf ins nächste Jahrhundert“

Zwei erfreuliche Streikkurzmeldungen

Zwei erfreuliche Streikkurzmeldungen

Alle Räder stehen still…

Schreiben für die Revolution

Gott streikt nicht

Kapitalistischer Normalvollzug

FAU-Ticker

FAU-Ticker

Alles für alle – aber nicht umsonst!

Taylorismus 3.0

Taylorismus 3.0

Struggle – Nachrichten von der Klassenfront

Wobblies und Würde in New York

Weithin gut sichtbare Informationen für MieterInnen (Quelle: nk44.blogsport.de)

Der Wohnungsmarkt unterliegt derzeit großen Umbrüchen. Immer mehr MieterInnen fallen unter große, unnahbare Hausverwaltungen, deren Praktiken sie meist ohnmächtig gegenüber stehen. Auf der anderen Seite versuchen immer mehr MieterInnen, sich dagegen zu wehren, insbesondere in Berlin, das große Immobilienfirmen für sich entdeckt haben. Denn hier, wo die Mieten lange vergleichsweise günstig waren, erwarten sie beste Renditeaussichten. Das Mieterecho spricht denn auch davon, dass zuletzt in der Hauptstadt die Kiez- und Mieterinitiativen „wie Pilze aus dem Boden geschossen“ seien. So erfreulich Letzteres ist, es weist auch auf ein großes Problem hin: Wenn sich viele MieterInnen organisieren und dennoch der Entwicklung kaum etwas entgegensetzen können, scheinen die vorherrschenden Organisationsformen nicht die geeigneten zu sein.

Welche Organisationsformen gibt es?

Im Wesentlichen lassen sich derzeit drei Modelle auf diesem Feld ausmachen: [1] das Engagement in Parteien, um wohnungspolitische Anliegen einzubringen; [2] die Mietervereine, gewissermaßen Schutz- und Versicherungsorganisationen; [3] Stadtteil- und Mieterinitiativen, in denen sich MieterInnen und AnwohnerInnen selbst organisieren. Zwischen diesen Formen kann es Überlappungen geben: So sind Menschen aus Initiativen auch in Parteien aktiv oder arbeiten Mietervereine mit Initiativen zusammen usw.

Theoretisch gibt es noch das Konzept einer Mietergewerkschaft, wie es etwa in den USA von der Buffalo Class Action vorgeschlagen wurde. Auch die Ansätze der FAU-Schwestergewerkschaft ZSP in Warschau gehen in diese Richtung (siehe DA Nr. 203: Gentryfikacjiund DA Nr. 205: Hausen am Abgrund). Bei der Frage nach den Perspektiven jenes Konzeptes gilt es, dieses in die bisherige Organisationslandschaft einzuordnen (Parteien werden im Folgenden allerdings ausgeklammert).

Verhältnis zu den Mietervereinen

Die Wurzeln der Gewerkschaften waren in vielen Ländern so genannte Arbeitervereine. Diese waren meist Schutzorganisationen, organisierten Versicherungen und Solidarität. Ihr funktionaler Charakter entsprach etwa dem, was wir heute von den Mietervereinen kennen, nur dass diese auf einem anderen Feld tätig sind und sich zu großen, professionalisierten (Dienstleistungs-)Strukturen entwickelt haben. In der Gewerkschaftsforschung werden jene Arbeitervereine als erste Organisationsphase der Arbeiterbewegung ausgemacht, in der auf bestimmte Verwerfungen reagiert wurde. In einer zweiten Phase wandelten sich die Arbeiterorganisationen hin zu ökonomischen Kampforganisationen, die offensiv für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen usw. eintraten. Sie entdeckten dabei das Mittel der Kollektivvereinbarungen (Tarife), mit denen sie Erkämpftes absichern wollten. Sowohl Tarifverträge als auch die Methoden zu ihrer Durchsetzung galten zunächst als anrüchig, ja z.T. als illegal. Es war also auch ein Kampf um Anerkennung.

Einen analogen Wandel, hin zu sozialen Kampforganisationen, haben die Mietervereine nicht vollzogen. Dabei haben der Kapitalismus und der Wohnmarkt Bedingungen hervorgebracht, die dies als überfällig erscheinen lassen. Denn die großen Hausverwaltungen setzen viele MieterInnen in direkte Beziehung zueinander, in ihnen findet sich eine konzentrierte Angriffsfläche. So wie sich ArbeiterInnen in Betrieben und Branchen zusammentun, könnten sich MieterInnen nach Häusern und Hausverwaltungen – lokal und überregional – organisieren und potentiell bestimmte Tarife, Wohnstandards und Mitbestimmung durchsetzen, ja sogar ein Übernahmemodell entwickeln.

Verhältnis zu den Initiativen

Könnten womöglich die sprießenden Initiativen das Potential haben, die Funktion solcher Kampforganisationen einzunehmen, zumal nach dem Prinzip der Selbstorganisation? Vieles weist darauf hin, dass dem nicht so ist. Initiativen – das unterscheidet sie von regelrechten Organisationen – arbeiten naturgemäß unverbindlich und sind sehr fragmentiert. Daran würde auch die viel beschworene „Vernetzung“ nichts ändern. Diese wäre nur die Summe ihrer Unzulänglichkeiten. Für eine organisatorische Effizienz auf dem Gebiet bedarf es gemeinsamer und verbindlicher Arbeitsstrukturen, in denen der Markt und seine Akteure analysiert werden, man sich auf Mietsetzungsprozesse und koordinierte Vorgehensweisen schnell einigt, die Mitglieder „erfasst“ und zusammengeführt werden und „Verhandlungsmacht“ hergestellt wird.

Derzeit macht jede Initiative – wenn überhaupt – ihre eigene Recherche. Im besten Falle kommt davon ein wenig bei anderen an. Hier und da finden mal Kämpfe zusammen. Doch im Großen und Ganzen machen alle „ihre Fehler selbst“, muss die Arbeit in jeder Initiative von vorne gemacht werden. Meist ist man voll und ganz damit befasst, die eigene, fragile Struktur am Laufen zu halten. Es bleibt kaum Raum, eine breitere und kontinuierlichere Organisierung voranzutreiben.

Vorschlag zur Güte

Der Ansatz, sich erst einmal mit seinem unmittelbaren Umfeld zu organisieren, ist zweifellos richtig. Doch häufig stoßen MieterInnen dabei auf Grenzen, etwa wenn das Haus schon fast leer geekelt wurde oder die NachbarInnen partout nicht mitziehen wollen – sei es aus Eingeschüchtertheit, sei es aus Borniertheit. Und ein Kampf alleine, so kampfbereit man auch sein mag, ist ein verlorener Kampf. Dabei könnte es doch die Bereitschaft dazu in anderen Häusern der Hausverwaltung geben. Eine Organisation, die da als verbindliches und effizientes Bindeglied fungiert, könnte Wunder bewirken, erst recht, wenn sie besonders viele MieterInnen einer Hausverwaltung zusammenführt. Sie könnte aber auch den solidarischen Kampf für einzelne Betroffene organisieren. Und der Erfolg solcher EinzelkämpferInnen könnte wiederum bisher passive NachbarInnen ermuntern.

Stufenweise ließen sich auf diese Weise Fortschritte erzielen, ohne vom großen Wandel in der Politik abhängig zu sein. Im Idealfall würde Hausverwaltung nach Hausverwaltung in eine Art Tarifbindung hineingekämpft werden. Und darin muss sich das Projekt gewiss nicht erschöpfen. Verwiesen sei etwa auf das Mietshäusersyndikat und auf die Genossenschaftsbewegung generell. Eine Mietergewerkschaft könnte derartige Modell integrieren bzw. als Seitenarm herausbilden. Neben den alltäglichen Kämpfen könnte so Wohnraum zunehmend den Markt entzogen werden. Gerade die Synthese von Kampf- und Transformationsorganisation ist eine der Quintessenzen des Syndikalismus.

Neuausrichtung des Fokus

Es ist auffällig, dass sich die neue Mieterbewegung sehr stark auf die Wohnungspolitik fokussiert. Die großen Akteure auf dem Wohnmarkt selbst, die Hausbesitzer und Hausverwaltungen – im Englischen gibt es dafür den treffenden Begriff der landlords –, werden i.d.R. großzügig vernachlässigt. Allenfalls werden sie mit Abwehrmaßnahmen konfrontiert – meist von einzelnen MieterInnen, seltener von Hausgemeinschaften. Weitestgehend unbehelligt können sie ihr Geschäft verrichten und halbfeudale Verhältnisse errichten.

Wer sich mit den Veröffentlichungen der landlords vertraut macht, wird schnell merken, dass sie sich äußerst sicher fühlen. Auf ihren Webpräsenzen nehmen sie kaum ein Blatt vor den Mund und machen aus ihren Geschäftspraktiken keinen großen Hehl. Es ist überfällig, den Fokus der Aktivitäten viel stärker auf sie zu richten. Dies gilt insbesondere, da sich auf diesem Feld auch vielmehr erreichen ließe als mit dem zähen und zahnlosen Versuch, einen grundlegenden Wechsel in der Wohnungspolitik herbeizuführen. Ob ein solcher Ansatz aus bisherigen Organisationsformen der Mieterbewegung erwachsen kann, ob er sich auf bestehende Gewerkschaftsstrukturen stützen sollte oder ob etwas ganz Neues her muss, wird sich zeigen, wenn er nicht mehr nur eine Idee bleiben soll.

Zum Kampf um Wohnraum siehe auch die DA-Schwerpunktausgabe zum Thema unter:
Direkte Aktion 204 – März/April 2011

Direkte Aktion 211 – Mai/Juni 2012

Sie lassen nicht locker Meldungen aus der IAA

Kommentare

5 Antworten zu „Auf ein neues Level“

  1. […] z.B. für “Miettarife” übergegangen werden.[15]Mehr zum Thema Mieter*innengewerkschaft gibt es hier. jQuery("#footnote_plugin_tooltip_15").tooltip({ tip: "#footnote_plugin_tooltip_text_15", tipClass: […]

  2. […] „Auf ein neues Level“ von Redaktion und Ferdi Konun bereits am 27. Mai 2012 in der Direkten Akti… zur selben Fragestellung der MieterInnen-Gewerkschaft: „Im Wesentlichen lassen sich derzeit drei Modelle auf diesem Feld ausmachen: das Engagement in Parteien, um wohnungspolitische Anliegen einzubringen; die Mietervereine, gewissermaßen Schutz- und Versicherungsorganisationen; Stadtteil- und Mieterinitiativen, in denen sich MieterInnen und AnwohnerInnen selbst organisieren. Zwischen diesen Formen kann es Überlappungen geben: So sind Menschen aus Initiativen auch in Parteien aktiv oder arbeiten Mietervereine mit Initiativen zusammen usw. Theoretisch gibt es noch das Konzept einer Mietergewerkschaft, wie es etwa in den USA von der Buffalo Class Action vorgeschlagen wurde. Auch die Ansätze der FAU-Schwestergewerkschaft ZSP in Warschau gehen in diese Richtung (…) Bei der Frage nach den Perspektiven jenes Konzeptes gilt es, dieses in die bisherige Organisationslandschaft einzuordnen (Parteien werden im Folgenden allerdings ausgeklammert). (…) Die Wurzeln der Gewerkschaften waren in vielen Ländern so genannte Arbeitervereine. Diese waren meist Schutzorganisationen, organisierten Versicherungen und Solidarität. Ihr funktionaler Charakter entsprach etwa dem, was wir heute von den Mietervereinen kennen, nur dass diese auf einem anderen Feld tätig sind und sich zu großen, professionalisierten (Dienstleistungs-)Strukturen entwickelt haben. (…) Einen analogen Wandel, hin zu sozialen Kampforganisationen, haben die Mietervereine nicht vollzogen. Dabei haben der Kapitalismus und der Wohnmarkt Bedingungen hervorgebracht, die dies als überfällig erscheinen lassen. Denn die großen Hausverwaltungen setzen viele MieterInnen in direkte Beziehung zueinander, in ihnen findet sich eine konzentrierte Angriffsfläche. So wie sich ArbeiterInnen in Betrieben und Branchen zusammentun, könnten sich MieterInnen nach Häusern und Hausverwaltungen – lokal und überregional – organisieren und potentiell bestimmte Tarife, Wohnstandards und Mitbestimmung durchsetzen, ja sogar ein Übernahmemodell entwickeln“. […]

  3. […] wie sie auch schon an anderer Stelle von Syndikatlist*innen vorgeschlagen worden ist, u.a. in der Direkten Aktion und im Adamag. Sie unterscheidet sich von den bestehenden Mieterschutzbünden dadurch, dass sie […]

  4. […] Überlegungen zu dieser Organisationsform für Mieter_innen in einem Artikel in der Direkten Aktion vom Jahr […]

  5. […] „Auf ein neu­es Level“ von Redak­ti­on und Fer­di Konun bereits am 27. Mai 2012 in der … zur sel­ben Fra­ge­stel­lung der Mie­te­rIn­nen-Gewerk­schaft: „Im Wesent­li­chen las­sen sich der­zeit drei Model­le auf die­sem Feld aus­ma­chen: das Enga­ge­ment in Par­tei­en, um woh­nungs­po­li­ti­sche Anlie­gen ein­zu­brin­gen; die Mie­ter­ver­ei­ne, gewis­ser­ma­ßen Schutz- und Ver­si­che­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen; Stadt­teil- und Mie­ter­initia­ti­ven, in denen sich Mie­te­rIn­nen und Anwoh­ne­rIn­nen selbst orga­ni­sie­ren. Zwi­schen die­sen For­men kann es Über­lap­pun­gen geben: So sind Men­schen aus Initia­ti­ven auch in Par­tei­en aktiv oder arbei­ten Mie­ter­ver­ei­ne mit Initia­ti­ven zusam­men usw. Theo­re­tisch gibt es noch das Kon­zept einer Mie­ter­ge­werk­schaft, wie es etwa in den USA von der Buf­fa­lo Class Action vor­ge­schla­gen wur­de. Auch die Ansät­ze der FAU-Schwes­ter­ge­werk­schaft ZSP in War­schau gehen in die­se Rich­tung (…) Bei der Fra­ge nach den Per­spek­ti­ven jenes Kon­zep­tes gilt es, die­ses in die bis­he­ri­ge Orga­ni­sa­ti­ons­land­schaft ein­zu­ord­nen (Par­tei­en wer­den im Fol­gen­den aller­dings aus­ge­klam­mert). (…) Die Wur­zeln der Gewerk­schaf­ten waren in vie­len Län­dern so genann­te Arbei­ter­ver­ei­ne. Die­se waren meist Schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen, orga­ni­sier­ten Ver­si­che­run­gen und Soli­da­ri­tät. Ihr funk­tio­na­ler Cha­rak­ter ent­sprach etwa dem, was wir heu­te von den Mie­ter­ver­ei­nen ken­nen, nur dass die­se auf einem ande­ren Feld tätig sind und sich zu gro­ßen, pro­fes­sio­na­li­sier­ten (Dienstleistungs-)Strukturen ent­wi­ckelt haben. (…) Einen ana­lo­gen Wan­del, hin zu sozia­len Kampf­or­ga­ni­sa­tio­nen, haben die Mie­ter­ver­ei­ne nicht voll­zo­gen. Dabei haben der Kapi­ta­lis­mus und der Wohn­markt Bedin­gun­gen her­vor­ge­bracht, die dies als über­fäl­lig erschei­nen las­sen. Denn die gro­ßen Haus­ver­wal­tun­gen set­zen vie­le Mie­te­rIn­nen in direk­te Bezie­hung zuein­an­der, in ihnen fin­det sich eine kon­zen­trier­te Angriffs­flä­che. So wie sich Arbei­te­rIn­nen in Betrie­ben und Bran­chen zusam­men­tun, könn­ten sich Mie­te­rIn­nen nach Häu­sern und Haus­ver­wal­tun­gen – lokal und über­re­gio­nal – orga­ni­sie­ren und poten­ti­ell bestimm­te Tari­fe, Wohn­stan­dards und Mit­be­stim­mung durch­set­zen, ja sogar ein Über­nah­me­mo­dell ent­wi­ckeln“. […]

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